Mark & Klass

Im besten Fall vermittelt der Live-Betrieb einer Band, wo sie gerade steht – welche Songs aus dem Repertoire noch gehen und wo sich professionelle Ermüdung eingeschlichen hat. Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol wissen, dass „die spielerische und inhaltliche Lebendigkeit eines Albums eine Halbwertzeit besitzt“. Was lag da näher, als sich dem Publikum mit einem Bündel neuer Lieder zu stellen, das die organische Entwicklung dieser Band an den gesellschaftlichen Gegebenheiten da draußen ganz aktuell spiegelt? Also: Was wagen, frische Felder bestellen, ohne Angstschweiß alte Sicherheiten aufgeben. Und das Album nimmt diesen Schwung in vielen lebhaften Liedern mit, die wir so bislang nicht von GLORIA kannten. Es hat aber auch noch diese ganz spezielle Melancholie, die die beiden unter dem Namen GLORIA subkutan zu verabreichen wissen.

Am 13. Oktober erschien nun das dritte Album ihrer Band mit dem einfachen wie vielsagenden Titel „DA“. Hurra, wir leben noch! Eine Anwesenheitsbestätigung, sicher, aber eben auch noch viel mehr: Richtungsanzeiger und Ausweis der Neugierde und Wachheit, die den Musikern bei der Produktion ihres Werkes so dienlich gewesen sind.

„Es ist jetzt nicht so, dass wir uns sechs oder acht Wochen in eine skandinavische Hütte zurückgezogen haben, wie man sich das vielleicht bei einem Duo vorstellt. Der Prozess zog sich über anderthalb Jahre“, erzählt Mark Tavassol. Genug Zeit, um sich über das zu beratschlagen, was sie in den Texten erzählen wollten, um mit den Instrumenten die Songs auszumalen und gegebenenfalls noch einmal alles zu löschen und bei Null anzufangen. Jedes dieser Lieder springt mit offenen Augen und Ohren durch die Welt, wie sie die beiden wahrnehmen und erkennen. „Am Ende habe ich immer das Gefühl, dass einige Themen, die uns in dieser Phase beschäftigt haben, sich durch das Album ziehen, ohne dass wir es jemals wollten. Das ist ein Abdruck der Kultur, die wir in unserer Freundschaft pflegen“, sagt Klaas Heufer-Umlauf.

Das ist schön gesagt, Klaas, es trifft vor allem ins Schwarze. Die Band GLORIA legte in jeder Phase ihres Bestehens etwas von dem Umgang frei, den die beiden Musiker mit sich und ihrem Ambiente pflegten. Was vor neun Jahren mit Privatsessions in Hamburger Einzimmer-Appartements begann, ist zu einem amtlichen Ding von Band geworden, das auf die Werbetrommelei verzichten kann, die sich aus den Biografien der beiden aufdrängte. Mark Tavassol, Sohn eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter, spielte bis 2012 Bass bei den etwas anderen Charts-Stürmern Wir sind Helden. Klaas Heufer-Umlauf katapultierte sich im Verein mit Joko Winterscheidt an die Pole Position jener etwas unziemlichen Fernsehunterhaltung, nach der wir alle ziemlich gierten. Jahrelang war er auf der anderen Seite der Musik unterwegs, als Moderator auf Festivals mit dem Mikro in der Hand, heute ist er überrascht, „wie normal es sich anfühlt, in einer Band zu spielen“.

Mit dem Schönsagen liegen GLORIA sowieso gerade ganz weit vorne. „Wir schlagen nur die Sprache und hören nur das Holz, auf dem wir wohnen“, singt Klaas so wunderbar in der finalen Pianoballade „Stille“. „Wir schlagen die Sprache – das ist ein Wortspiel, wenn man Persisch versteht. Es heißt einfach: Wir sprechen“, erklärt Mark. „Wenn man die Sprache aber aus dem Weg räumt, passieren Dinge, auf die man den ganzen Tag nicht achtet, zum Beispiel, dass man Holz hört.“ Ein Trip von der makroskopischen auf die mikroskopische Ebene, der ohne knarrende Dielen auskommt.

Auf ein größeres Parkett begeben GLORIA sich im heimlichen Titelsong „Immer noch da“, eine Gitarrenpophymne, die für Festivals wie „Hurricane“ oder „Southside“ geradezu erfunden worden ist, die sie zuletzt bespielten. Ein Stück, das uns – wuuusch! - wie nix davonträgt, im selben Moment aber dazu aufruft, innezuhalten, sich Gedanken zu machen und (vielleicht neu) zu positionieren. Auf dem Vorgängeralbum „Geister“ (2015) nahmen die Songs „Stolpersteine“ und „Schwaches Gift“ eine ähnliche Position ein, diesmal sind es die Haken und die Kreuze, die „Immer noch da“ an einer gefährlichen gesellschaftlichen Realität befestigen. Alle drei Tracks öffnen gleichsam einen Betrachtungsraum, in dem sich Verbindungslinien zwischen Nazi-Vergangenheit, dem schleichenden Verlust der Mündigkeit und den Geschichten zur Migration denken lassen. „Es geht nicht darum, jemanden auf links zu ziehen, aber wir können die Dinge an uns heranlassen“, sagt Klaas und verweist dabei auf den Umgang mit der Flüchtlingskrise. „Da müssen wir lesen, dass die Flüchtlingskrise wieder zurückkommt. Wo ich denke, die war doch nie weg. Aber die Haltung, oder das Gefühl, dass wir das jetzt hinter uns gelassen haben und alles dafür tun müssen, dass das nicht noch mal passiert, negiert den Umstand, dass Menschen in jeder Sekunde in Lagern sitzen, geografisch weit von uns entfernt vielleicht. Das wird uns die nächsten 20 oder 30 Jahre beschäftigen.“

Lyrics first – das ist ein ungeschriebenes Gesetz im Hause GLORIA. „Ohne Text geht nicht richtig was los, schöne Akkorde spielen und energetische Momente aufbauen, das klappt irgendwie immer“, sagt Mark. Ein Thema nach vorne zu bringen und in einen Song zu übersetzen, hat bei GLORIA durchweg mit starken Emotionen zu tun, das ist der Anfang alles Tuns. „Dann versuche ich den Prosatext in eine Art Groove zu bringen, als würde ich rappen. Damit der Kopf nicht überfordert ist mit der Frage, was eigentlich der nächste Satz ist, wenn ich an Gitarre oder Klavier gehe. Vielleicht entscheidet sich schon beim Texten das Tempo des Songs. Da ist ein Anker zur Musik entstanden.“ Wenn der Gesang dann steht, kann ein Song aber auch noch einmal neu erfunden werden, wie bei „Einer von den anderen“. „Da bin ich oft so radikal, dass ich mir ein Instrument schnappe, das ich in der ganzen Produktion noch nicht in der Hand hatte. Und das war in diesem Fall ein ganz alter Bass von meinem Studionachbarn Michel van Dyke, so ein Beatles-Bass, auf dem ich dann angefangen habe, die nackte Vokalspur zu begleiten.“

Für den Song „Süchtig“ spielte Mark Gitarre und Bass spontan und recht improvisiert in seiner damaligen Wohnung neu ein. Beim Bass vergaß er, das Gesangsmikro auszuschalten, und wenn man jetzt genau hinhört, kann man hinter den schönen Streicher- und Pianoflächen hören, wie er auf den Saiten umgreift. Das „Nebengeräusch“ ist nicht aus dem Klangbild herausoperiert worden, „es gibt dem Song die Tiefe, die er braucht, auch, wenn das alles eher zufällig passierte“, so Mark. Verglichen mit dem „Geister“-Album nimmt „DA“ insgesamt einen größeren musikalischen Raum ein; Streicher, Trompeten, Posaunen und ein Uralt-Synthesizer ziehen markante Linien durch die melancholischen Songs, sie verleihen den Kompositionen von GLORIA einen warmen Resonanzboden. Wir werden diese Musik in unser Leben nehmen, weil sie unser Leben bereichert – dort, wo Bilder, Visionen und Klänge eine gemeinsame Sprache finden. Oder wie Mark und Klaas das sagen: Wir brauchen Musik zum Denken, Fühlen, emotional rechts Ranfahren, ja, einfach zum Nichtunglücklichwerden.